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Darf ich Dashcams jetzt nutzen? Experte erklärt das Hammer-Urteil

von RA Michael Winter

Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.05.2018 - VI ZR 233/17 -

Wie kam es zu dem BGH-Urteil?

Nach einem Verkehrsunfall nahm ein Kläger seinen Unfallgegner auf Schadensersatz in Anspruch. Beide waren auf zwei nebeneinander verlaufenden Linksabbiegerspuren seitlich kollidiert - jeder behauptete, der andere habe die Kollision herbeigeführt. Der Kläger hatte in seinem Auto eine Dashcam verbaut und den Vorgang aufgezeichnet. Das ursprünglich mit dem Fall befasste Amtsgericht lehnte das Angebot, die Kameraaufzeichnungen zu verwenden, ab. Der Kläger ging in Berufung. Das Landgericht wies diese zurück und stellte sich auf den Standpunkt, die Aufzeichnung verstoße gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen. Dies führe zu einem sogenannten "Beweisverwertungsverbot“. Aufgrund der Bedeutung der Sache ließ das Landgericht jedoch die Revision zu - der Kläger nutzte diese Chance.

Das besagt das BGH-Urteil genau

Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Landgerichts aufgehoben und den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen - begründet hat er dies wie folgt:

  1. Die Videoaufzeichnung sei nach den geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen unzulässig, da sie ohne Einwilligung des Betroffenen erfolgt sei. Jedenfalls sei eine permanente, anlasslose Aufzeichnung des gesamten Verkehrsgeschehens zur Wahrnehmung von Beweissicherungsinteressen nicht erforderlich. Es sei nämlich technisch möglich, eine kurze, anlassbezogene Aufzeichnung des unmittelbaren Unfallgeschehens zu gestalten, beispielsweise durch ein dauerndes Überschreiben von Aufzeichnungen in kurzen Abständen und dem Auslösen der dauerhaften Speicherung erst bei Kollision oder starker Verzögerung des Fahrzeugs.
  2. Dennoch sei die Videoaufzeichnung als Beweismittel im Unfall-Haftpflichtprozess verwertbar. Die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung für den Zivilprozess führe nämlich nicht ohne weiteres zu einem sogenannten (und vom Landgericht ja noch angenommenen) “Beweisverwertungsverbot“.
  3. Über die Frage der Verwertbarkeit sei vielmehr aufgrund einer Interessen- und Güterabwägung nach den im Einzelfall gegebenen Umständen zu entscheiden. Die Abwägung zwischen den Interessen des Beweisführers (Kläger) an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche und seinen gemäß Grundgesetz bestehenden Anspruch auf rechtliches Gehör in Verbindung mit dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege stehe auf der einen Seite - das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beweisgegners (Beklagter) in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung und sein Recht am eigenen Bild stehe auf der anderen Seite.
    Im vorliegenden Fall überwiegen laut BGH die Interessen des Klägers die des Beklagten.
  4. Der Unfall sei im öffentlichen Straßenraum geschehen; der Beklagte habe sich freiwillig in diesen begeben. Er habe sich durch seine Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer ausgesetzt. Auch seien nur Vorgänge auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet worden, die grundsätzlich für jedermann wahrnehmbar waren.
    Des weiteren müsse man der häufig besonderen Beweisnot, die der Schnelligkeit des Verkehrsgeschehens geschuldet ist, unbedingt Rechnung tragen. Unfallanalytische Gutachten seien nämlich nur aufgrund verlässlicher Anknüpfungstatsachen möglich, die aber häufig fehlen würden.
  5. Der mögliche Eingriff in allgemeine Persönlichkeitsrechte mitgefilmter Verkehrsteilnehmer führe nicht zu einer anderen Gewichtung. Deren Schutz ist durch die Regelungen des Datenschutzrechts Rechnung zu tragen - diese zielen aber gerade nicht auf ein Beweisverwertungsverbot ab.
  6. Verstöße gegen das Datenschutzrecht können mit hohen Geldbußen belegt werden - vorsätzliche Handlungen gegen Bezahlung oder in sogenannter “Bereicherung-oder Schädigungsabsicht” sind sogar mit Freiheitsstrafe bedroht. Auch kann die Aufsichtsbehörde mit Maßnahmen zur Beseitigung von Datenschutzverstößen jederzeit steuernd eingreifen.
  7. Im Unfall-Haftpflichtprozess ist auch zu beachten, dass das Gesetz den Beweisinteressen eines Geschädigten durch die strafrechtlichen Normen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort ein besonderes Gewicht zugewiesen habe. Ein Unfallbeteiligter müsse die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und die Art der Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt gewesen sei, ermöglichen. Nach § 34 StVO sei auf Verlangen der eigene Name die eigene Anschrift anzugeben, weiterhin habe man den Führerschein und Fahrzeugschein vorzuweisen sowie Angaben über die Haftpflichtversicherung zu machen.

So sollten sich Autofahrer jetzt verhalten

Meines Erachtens gilt nun für die Praxis folgendes:

  • Es ist nunmehr auch im Zivilrecht der Einsatz einer Dashcam zulässig, sofern sichergestellt werden kann, dass diese nicht ständig „anlasslos“ das Verkehrsgeschehen filmt, sondern (wie vom BGH gefordert) die gefilmten Sequenzen (wenn kein Anlass für die Speicherung besteht) ständig überschreibt und erst in bestimmten Situationen eine Sequenz "einfriert".
  • Man wird also künftig in jedem Einzelfall zu prüfen haben, ob aus einer nach datenschutzrechtlichen Gründen unzulässigen Videoaufzeichnung auch ein Beweisverwertungsverbot entsteht oder nicht.
  • Im Straf-und Bußgeldrecht wurden Videoaufzeichnungen (man vergleiche beispielsweise eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart) übrigens schon vorher durchaus zugelassen.

Ich persönlich werde künftig eine solche Kamera, die in der Lage ist, aufgenommene Sequenzen regelmäßig zu überschreiben und eine Sequenz erst dann einzufrieren, wenn beispielsweise gewisse Verzögerungswerte vorliegen oder eine Erschütterung stattfand, nutzen. Das Risiko, datenschutzrechtlich belangt zu werden, ist für mich geringer als das, im Falle eines Unfalls ohne Beweise dazustehen.

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