Kolumnen RA Winter für ddp / dapd / Focus
- verfasst von 2001 bis 2022
In Einzelfällen kam es zu einer Änderung der Rechtslage. Die betroffenen Kolumnen wurden aus Zeitgründen noch nicht aktualisiert - dies wird zeitnah nachgeholt.
Schwerer Unfall wegen Anti-Autobahn-Demo, sind Demonstranten dafür haftbar?
von RA Michael Winter
Bei Protesten gegen den Weiterbau der A49 haben Demonstranten die Autobahn A3 gesperrt und einen Stau provoziert - mit gravierenden Folgen. Können Demonstranten für den schweren Unfall eigentlich haftbar gemacht werden? Rechtsanwalt Michael Winter klärt auf.
Viele fragen sich momentan, ob die Aktion der Demonstranten auf der A3 sein musste und ob sie für den schweren Unfall am Stauende verantwortlich sind. Ein Skoda-Fahrer war auf einen LKW aufgefahren, der wegen des Staus plötzlich stoppen musste, und wurde schwer verletzt. Betrachten wir das Ganze einmal aus einer rein juristischen Perspektive.
Aus strafrechtlicher Sicht wird man denen, die sich von der Autobahnbrücke abseilten, wohl zweifelsohne den Vorwurf des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr machen können.
Beurteilt man ihr Verhalten nach der sogenannten „Äquivalenz-Theorie” (“Ursächlich ist jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfällt”), so ist es definitiv sowohl für die polizeiliche Maßnahme der Autobahnsperrung, als auch für den Stau und den nachfolgenden Unfall kausal.
Kausalzusammenhang zwischen Sperrung und Unfall?
Auch nach der sogenannten „Adäquanz-Theorie“ wäre den Aktivisten der Unfall zurechenbar, da sie die “objektive Möglichkeit des Erfolgseintritts generell - d.h. nach allgemeiner Lebenserfahrung - in nicht unerheblicher Weise erhöhten”.
Bricht man die Prüfung an dieser Stelle ab, wäre also jeder, der egal aus welchem Grund (verkehrswidrige Fahrweise/Verkehrsunfall/Panne o.ä.) für einen Stau auf der Autobahn sorgt, an dessen Ende ein Unfall geschieht, auch für das Unfallereignis haftbar. Dass dies wohl nicht der Weisheit letzter Schluss ist, leuchtet ein.
Es kommt auf "objektive Zurechenbarkeit" an
Insoweit korrigieren Juristen das Ergebnis über ein Rechtsinstitut, das sich „objektive Zurechenbarkeit“ nennt. Diese “objektive Zurechnung einer Handlung für einen Erfolg” wird nach folgendem Schema geprüft:
a) Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr
aa) Erlaubtes Risiko
bb) Risikoverringerung
b) Realisierung der Gefahr im Erfolg
aa) Objektive Voraussehbarkeit des Kausalverlaufs und Erfolgseintritts
bb) Schutzzweckzusammenhang: Erfolgseintritt liegt im Schutzbereich der
verletzten Norm
cc) Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen
i) Verantwortungsbereich des Opfers
ii) Verantwortungsbereich des Dritten
Das (für Laien etwas verkürzt dargestellte) Ergebnis der Prüfung lautet:
- Die Schaffung eine rechtlich missbilligten Gefahr , kann man durchaus bejahen.
- Auch hat sich diese Gefahr im Erfolg (dem Unfall) realisiert.
- Jedoch fehlt es meines Erachtens an einer ausreichenden Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts.
Die Frage lautet hier nämlich: Muss jeder, der für einen Stau (gleich aus welchem Grund) sorgt, automatisch damit rechnen, dass im Stau selbst oder am Stauende Unfälle geschehen? Die Antwort lautet: Nein!
Rechtlich gibt es die "Eigenverantwortung des Opfers"
Es dürfte außer Frage stehen, dass der Fahrer des verunfallten Skoda völlig unaufmerksam war - ansonsten hätte er das Stauende bemerkt und wäre nicht auf den Lkw aufgefahren. Das von den Demonstranten geschaffene Risiko schlägt sich durch das Verhalten des Skoda-Fahrers nicht mehr im sogenannten Erfolg, d.h. der Verletzung von Personen und dem Sachschaden) nieder. Vielmehr überwiegt hier eindeutig das vom Skoda Fahrer selbst geschaffene, rechtlich relevante Risiko – man spricht von der Eigenverantwortlichkeit des Opfers.
Die Frage, ob der Sachverhalt strafrechtlich (und natürlich auch zivilrechtlich) anders zu beurteilen wäre, wenn folgende Voraussetzungen vorlägen
- der Unfall findet ca. 100 m vor der Autobahnbrücke statt
- er geschieht wenige Sekunden nach Sperrung der Fahrbahnen durch die Polizei
- Grund für den Unfall ist die Ablenkung des Skoda-Fahrers, der seinen Blick ausschließlich auf die sich von der Brücke abseilenden Demonstranten richtet
muss an dieser Stelle nicht beantwortet werden.
Unabhängig davon, dass man den auf der Autobahnbrücke agierenden Personen keinen Vorwurf für den Verkehrsunfall machen kann, sollte man solche Personen aber mit aller Härte des Gesetzes wegen der von ihnen selbst begangenen Straftaten zur Verantwortung ziehen.