Kolumnen RA Winter für ddp / dapd / Focus
- verfasst von 2001 bis 2022
In Einzelfällen kam es zu einer Änderung der Rechtslage. Die betroffenen Kolumnen wurden aus Zeitgründen noch nicht aktualisiert - dies wird zeitnah nachgeholt.
Straßenverkehrsordnung seit Jahren ungültig?
von RA Michael Winter
Gezerre um die neue StVO
Autofahrer sind verwirrt: Gilt jetzt die alte Straßenverkehrsordnung oder die neue? Im Verkehrsministerium weiß man das offenbar selbst nicht so genau. Können Autofahrer, die in laufenden Bußgeld- oder Fahrverbots-Verfahren stecken, das für sich nutzen?
Ja was denn nun – gilt die StVO oder gilt sie nicht? Diese Frage stellen sich momentan wohl nicht nur Betroffene in aktuellen oder schon abgeschlossenen Bußgeldverfahren, sondern wahrscheinlich alle Verkehrsteilnehmer. Der aktuelle Kompromissvorschlag zur Bußgeld-Novelle ist noch nicht angenommen worden, weil einige Bundesländer ihn blockieren . Zudem gibt es neue juristische Bedenken. Was heißt das nun für Autofahrer? Ich will versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen.
Was war geschehen?
- Ein Stuttgarter Richter informierte das Landesjustizministerium Baden-Württemberg darüber, dass seiner Meinung nach bei Novellierung der Straßenverkehrsordnung im Jahr 2013 das sogenannte "Zitiergebot" verletzt worden sei.
- Das Landesjustizministerium informierte das baden-württembergische Verkehrsministerium – dieses leitete die Anfrage an das Bundesverkehrsministerium weiter.
- Wie ich bereits in einer meiner vorherigen Kolumnen zur Gültigkeit der aktuellen Bußgeldkatalogverordnung ausführte , muss das in Artikel 80 Grundgesetz genannte Zitiergebot stets beachtet werden.
- Dies bedeutet nichts anderes, als dass man bei einer Neufassung eines Gesetzes oder einer Verordnung diejenigen Normen nennen muss, die eine Veränderung gestatten.
Warum die StVO am "Zitiergebot" scheitern könnte
Gesetz oder Verordnungen, die unter Verstoß gegen das Zitiergebot zustande kommen, sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nämlich nichtig.
Sehen wir uns die Sache einmal näher an:
In der Einleitung zur Straßenverkehrsordnung in der Fassung vom 06.03.2013 wird ausdrücklich auf § 6 Nr. 3 StVG, Buchstabe c sowie Buchstabe f-e, Nr.4a, 7,13,14,16,17,18 des Straßenverkehrsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 05.03.2003 verwiesen.
Auch zitiert man § 6 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe d und e, Nr. 5a, 6, 7, 15 in Verbindung mit Abs. 2a des Straßenverkehrsgesetzes in gleicher Fassung.
Dies klingt fürchterlich komplex, jedoch müssen wir uns mit den einzelnen Unterpunkten nicht weiter befassen, sondern lediglich einmal einen Blick in § 6 Straßenverkehrsgesetz werfen, wo es (abgekürzt) wie folgt heißt:
§ 6 Abs. 1 StVG
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur wird ermächtigt, Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen über:
- ...
- ...
- die sonstigen zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf den öffentlichen Straßen ….
Liest man nun die Einleitung zur StVO 2013 genau, fällt auf, dass der "Einleitungssatz" der Nr. 3 des Absatzes 1 von § 6 StVO nicht wörtlich zitiert wurde, sondern nur die Zitierung verschiedener Unterpunkte erfolgte.
Wie unter Juristen üblich, kann man sich nun trefflich darüber streiten, ob es einer Zitierung des Einleitungssatzes von Nr. 3 Abs. 1 § 6 StVG in wörtlicher Form bedurfte.
ADAC und Verkehrsministerium sehen Gebot nicht verletzt
Ich selbst stelle mich mit dem Stuttgarter Richter sowie beiden baden-württembergischen Ministerien auf den Standpunkt, dass Derartiges zwingend hätte geschehen müssen. Das Bundesverkehrsministerium und auch der ADAC (was bei Letzterem verwundert) sehen dies offensichtlich anders – sie gehen davon aus, das Zitiergebot sei nicht verletzt worden.
Unabhängig davon, wie der Streit schlussendlich endet, gebe ich Folgendes zu bedenken:
- Bei laufenden Bußgeldverfahren muss man einen Richter finden, der sich meiner Meinung anschließt.
- Ist dies nicht der Fall, muss man, so eine Rechtsbeschwerde (beispielsweise im Falle eines Fahrverbots) möglich ist, einen OLG – Senat ausfindig machen, der meine Rechtsauffassung teilt.
- Gleiches gilt in OWI-Verfahren, in denen nur die Zulassung einer Rechtsbeschwerde möglich ist.
- Es wird keinen verwundern, dass das auch für Fälle gilt, in denen theoretisch eine Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Bußgeldverfahrens möglich wäre.
Kann man früher verhängte Bußgelder jetzt angreifen?
Voraussetzung hierfür ist aber, dass:- seit der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung nicht mehr als drei Jahre verstrichen sind
- eine Geldbuße von mehr als 250,00 Eurofestgesetzt wurde
- eine Nebenfolge mit einem Wert von mehr als 250,00 € (beispielsweise ein Fahrverbot) verhängt wurde.
- Gleichfalls interessant ist das Vertreten meiner Meinung im Fahrerlaubnisrecht.
Hier stellt sich nämlich die Frage, ob die Fahrerlaubnisbehörde - in Fällen, in denen sie wegen des Erreichens der 8-Punkte-Grenze die Fahrerlaubnis entzieht - mit einer derartigen Entscheidung abwartet, bis im Rahmen eines möglichen Wiederaufnahmeverfahrens geklärt worden ist , ob die Eintragung im Fahreignungsregister Bestand hat oder nicht.
In der jetzigen Situation (der "neue" Bußgeldkatalog wird wegen Rechtsunsicherheit nicht angewandt – die ganze Straßenverkehrsordnung steht auf dem Prüfstand) kann ich nur jedem raten, fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um sich umfassend über seine in einem laufenden oder auch abgeschlossenen Bußgeldverfahren bestehenden Möglichkeiten zu informieren.