Kolumnen RA Winter für ddp / dapd / Focus

- verfasst von 2001 bis 2022

In Einzelfällen kam es zu einer Änderung der Rechtslage. Die betroffenen Kolumnen wurden aus Zeitgründen noch nicht aktualisiert - dies wird zeitnah nachgeholt.

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Wachsweich formuliert!

von RA Michael Winter

Man glaubt es kaum: Obwohl sich viele Bundesbürger beschweren, es sei alles und jedes durch Gesetze vorgegeben, finden sich auch im Straßenverkehrsrecht zahlreiche Ausnahmen! Rechtsanwalt Michael Winter, “www.führerscheinretter.de“, seit über 20 Jahren bundesweit auf diesen Gebiet tätig, hat einige der Interessantesten heraus gegriffen:

Sicherheitsabstand:

Nach § 4 StVO “Muss der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden darf, wenn plötzlich stark gebremst wird.“
“Der Vorausfahrende darf nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen.“

Jeder hat schon einmal davon gehört, dass man (und so sieht es auch ein Senat des Bundesgerichtshofs) “auf halben Tachometerabstand“ zu fahren, das heißt Abstand zu halten habe. Der Gesetzgeber wehrt sich jedoch gegen diese Faustregel und sieht sie als ungeeignet zur Aufnahme in ein materielles Gesetz an. Die Rechtsprechung hat sehr schnell verstanden, dass im geballten Stadtverkehr beispielsweise beim Anfahren an einer Ampel oder wenn der Hinterherfahrende sehen kann, der Vordermann hat völlig freie Bahn, derartiges zwecklos wäre.

Der Gesetzgeber geht immer davon aus, die von ihm aufgestellte Grundregel bringe einen Verkehrsteilnehmer dazu, “vor Aufgabe des Sicherheitsabstands darüber nachzudenken, ob dies nach der Verkehrslage geboten oder gerechtfertigt sei“. Das Ganze musste sodann nach staatlicher Auffassung mit dem Grundsatz, ein Vorausfahrender dürfe niemals ohne zwingenden Grund scharf bremsen, gekoppelt werden.

Auch hier ist wieder die Auslegung zu bemühen – zum plötzlichen scharfen Bremsen kann eine gefährliche Verkehrssituation zwingen. So man aber zu spät bemerkt, dass man beispielsweise links oder rechts hätte abbiegen müssen, ist dies kein Grund, scharf zu bremsen.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, dass man beim Sicherheitsabstand nicht die Möglichkeit einbeziehen muss, der Vorausfahrende könne wiederum auf ein vor ihm fahrendes Fahrzeug aufprallen, das heißt, ohne seinen vollen Bremsweg auszunutzen, bereits vorher vor Auffahren auf den Vordermann zum Stehen kommen. Bei Auffahrunfällen mit mehreren Fahrzeugen wird hier gerne das Stichwort der „Bremswegverkürzung“ zugunsten des letzten Fahrzeugs angeführt.

Bereits vor langen Jahren wurde einmal ein Sicherheitsabstand, der die in 1,5 Sekunden durchfahrene Strecke beträgt, von der Rechtsprechung als ausreichend angesehen – zwischenzeitlich ist man etwa beim halben Tachowert gelandet, der auch der Bußgeldkatalogverordnung bei erheblichen Unterschreitungen als Bemessungsmaßstab dient.

Wenigstens im LKW-Bereich hat sich der Gesetzgeber zu einer klaren Aussage hinreißen lassen – bei mehr als 50 km/h Geschwindigkeit auf der Autobahn müssen zwischen 2 LKW’s mindestens 50 m Abstand (grob gesagt eine Strecke zwischen 2 Leitpfosten) vorhanden sein.

Auch hier wird jedoch häufig übersehen, dass das Attribut auf die Silbe „mindestens“ zu legen ist, und je nach Fahrbahns- und Witterungsverhältnissen die tatsächliche Geschwindigkeit einen weit größeren Abstand erfordern kann. Auch sollte nicht vergessen werden, dass der, der zum Überholen ansetzt, den Abstand grundsätzlich zuerst vermindern darf, um sodann auszuscheren und zügig vorbeizufahren.

Noch mal zurück zum Stadtverkehr:

Der Sicherheitsabstand vom Vorausfahrenden muss nicht so eingerichtet werden, dass man, selbst wenn dieser “abnorm verkürzt, ruckartig anhält“, dennoch hinter ihm zu stehen kommt. Wer zum Beispiel im Stadtverkehr mit 45 km/h und 10 m Abstand auf einen Vorausfahrenden auffährt, weil dieser das Handzeichen eines Polizeibeamten missversteht und plötzlich bremst, handelt nicht fahrlässig. Auch ist im Stoßverkehr ausnahmsweise ein geringerer Abstand zulässig, wenn man die vor einem liegende Fahrbahn erkennt, diese hindernisfrei ist und eine “erhöhte Bremsbereitschaft (?!)“ besteht.

Ein weiterer „Gummiparagraph“ findet sich im § 3 Straßenverkehrsordnung.

Hier ist unter anderem normiert: “Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht. Er hat seine Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen, sowie seinen persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen“. Gleichfalls wird jedoch gesetzlich der nachfolgende Satz verankert: “Ohne triftigen Grund dürfen Kraftfahrzeuge nicht so langsam fahren, dass sie den Verkehrsfluss behindern.“ Die Rechtsprechung verlangt von Verkehrsteilnehmern: “Zügig zu fahren, nicht ohne triftigen Grund langsam zu fahren, jedoch stets beherrscht und auf Sicht - auf schmalen Straßen auf halbe Sicht und innerhalb der vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeiten und den objektiven und subjektiven Gesamtumständen angepasst.“

Die richtige Einschätzung der eigenen Fahrgeschwindigkeit hänge hierbei von der Fahrbahnbreite, der Randbebauung, der Fahrzeuggröße, den Fahrgeräuschen und ähnlichen Faktoren ab – diese Fähigkeit der Einschätzung werde aber durch längere Fahrt beeinträchtigt. Selbst Radfahrer dürfen nirgends “unangemessen schnell“ fahren – gerade weil sie optisch und akustisch schlechter wahrnehmbar sind als ein Auto müssen sie auf andere Verkehrsteilnehmer Rücksicht nehmen und eine Geschwindigkeit einhalten, die diese von einem Radfahrer erwarten.

Man sieht unschwer, dass hier der Auslegung Tür und Tor geöffnet ist, sollte aber bedenken, dass dem, der zu schnell fährt (Ausnahmen sind geringe Überschreitungen der Höchstgeschwindigkeit im konkreten Fall) von der Rechtsprechung keine Schreckzeit zugestanden wird.

Grundsätzlich gilt “auf Sicht zu fahren“, das heißt innerhalb der Sichtweite anhalten zu können – auf schmalen Straßen soll dies auf der Hälfte der einsehbaren Strecke möglich sein. Bei Nässe, Glätte und Schnee muss man verständlicherweise seine Fahrgeschwindigkeit diesen Verhältnissen anpassen.

Was Gerichte hier festlegen, liest sich u.a. wie folgt: “Ist im Dunkeln mit Glätte zu rechnen, ohne dass sie sich näher feststellen ließe, muss entsprechend verlangsamt werden.“ Dies muss man jedoch einmal versuchen, einem Verkehrsteilnehmer zu verdeutlichen – es dürfte nicht leicht fallen. Hier ist vielleicht hilfreich: “dass man bei Nässe in Gefrierpunktnähe stets mit Glätte zu rechnen hat – jedenfalls bis in den Vormittag hinein!“

Auch gilt: Wer auf schneeglatter Fahrbahn schleudert, hat den Anschein gegen sich.

Auf Autobahnen muss beispielsweise jeder Kraftfahrer mit plötzlichen Hindernissen bei Tag und Nacht rechnen – ausgenommen hiervon sind jedoch wieder solche, die entstanden oder nicht beseitigt wurden, weil jemand die Aufsichtspflicht verletzt hat. Auch muss mit ungesichert liegengebliebenen Fahrzeugen gerechnet werden, selbst wenn sie unbeleuchtet sind (schlimmstes Beispiel hier ist ein Panzer mit Tarnanstrich im nahezu unbeleuchteten Zustand).

Es gäbe hier noch mannigfaltig auszuführen, dies würde jedoch den Rahmen der Kolumne zweifelsohne sprengen.

Zu guter letzt sei nochmals auf die neue “Winterreifenregelung“, die eigentlich konkreter hätte gefasst werden müssen, eingegangen:

Im § 2 Absatz 3 a StVO ist inzwischen normiert, dass bei Kraftfahrzeugen die Ausrüstungen an die Wetterverhältnisse anzupassen ist. Hierzu gehören insbesondere eine geeignete Bereifung und Frostschutzmittel in der Scheibenwaschanlage (!).

Der Gesetzgeber statuiert also keine Winterreifenpflicht, sondern verlangt nur “geeignete“ Bereifung. Grundsätzlich gilt diese Vorschrift für alle Wetterverhältnisse, soll aber im Wege der Auslegung wohl auf den Winter abzielen.

Nach der Rechtssprechung und -lehre wird man davon ausgehen dürfen, dass ein Fahrzeug mit einer so genannten M- und S-Bereifung oder einer Ganzjahres-Bereifung den Anforderungen des Gesetzgebers genügt. Dass eine M- und S-Bereifung ohne Schneeflockensymbol jedoch keinesfalls eine Kennzeichnung für einen Winterreifen darstellt, dürfte sich inzwischen herum gesprochen haben.

Ist ein Reifen älter als 5 Jahre, können seine Eigenschaften wegen der Aushärtung der Gummimischung unter Umständen nicht mehr gegeben sein – man unterstellt seitens des Gesetzgebers, dass dies in der “kraftfahrenden Bevölkerung (!)“ hinreichend bekannt ist. Gleiches gilt für eine Profiltiefe von weniger als 4 mm, mit denen ein Winterreifen nicht mehr seine volle Wirkung entfalten könne.

Man mag sich nicht vorstellen, was beispielsweise bei einem Unfall auf schneefreier, jedoch auf 0° abgekühlter und nasser Fahrbahn mit Sommerreifen an Fragen aufkäme - eine hiervon wäre beispielsweise, ob der Bremsweg dieses Sommerreifens mit dem des besten gerade auf dem Markt befindlichen Winterreifens oder mit dem des Testschlechtesten verglichen werden müsse.

In der Literatur wird ausgeschlossen, dass ein Autofahrer im Falle eines Falles angeben kann, der von ihm gefahrene Sommerreifen sei trotz Schneefalls und winterlicher Temperaturen für die Autobahn geeignet, so nach dem Aufbringen von Salz nur noch nasse Fahrbahn herrsche.

Fahrzeugführer sind (dies ist einleuchtend) in jedem Fall gehalten, den Wetterbericht zu verfolgen und sich gegebenenfalls auf Schneefall einzustellen – dies gilt jedoch nicht für gänzlich überraschend auftretendes “Blitzeis“.

Die Aufzählung dehnbarer Begriffe ließe sich in Buchform fortsetzen – es bleibt der Rat, lieber zu vorsichtig als zu forsch zu agieren, um die juristischen Grenzbereiche erst gar nicht ausloten zu müssen.

Rechtsanwalt Michael Winter,
Kornwestheim, www.führerscheinretter.de

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